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Die Ärzte

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Datum: 03.11.2007

Reingehört bei Die Ärzte

Jazz ist anders

Bad Oeynhausen (ml)    Heute morgen war dann doch tatsächlich der Pizzabote da und hat mir eine Pizza vorbei gebracht. Pizza zum Frühstück, sehr lecker.
Im Gegensatz zu einer normalen Pizza, ist diese Pizza wiederverwendbar, mit guten Songtexten und punkigen E-Gitarrenriffs belegt. Sie wird auch nicht in den Mund geschoben, sondern in den CD-Player. Die Köche dieser Pizza heißen Bela, Farin und Rod.

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Abgeliefert hat man natürlich keine Pizza, sondern einen bunt gemischten Mix verschiedener Stile, wie es gerade für Die Ärzte in letzter Zeit üblich geworden ist. Purer Punk ist schließlich tot und das hat man auch bei den Punkurgesteinen gemerkt.

So ist "Jazz ist anders" noch abwechslungsreicher, als der ohnehin schon sehr interessant anzuhörende Vorgänger "Geräusch".
Der Opener "Himmelblau" lässt im ersten Moment vermuten, dass es sich bei dem vorliegenden Album um ein Die Ärzte-typisches, etwas Farin Urlaub-lastiges Album handelt. So hätte "Himmelblau" auch genauso gut auf "Am Ende der Sonne" aus Farins Solokarriere seinen Platz finden können.
Jedoch wird direkt mit "Lied vom Scheitern" und "Breit" klar, dass etwas anders ist. Stimmt, Farin singt ausnahmsweise mal nicht jedes zweite Lied. "Lied vom Scheitern" wird von Bela gesungen und "Breit" von Rod.

Aber auch so ist "Jazz ist anders" eher ein simples, als ein pompöses Album. Die Dynamik kommt allein durch den Mix verschiedener Stilrichtungen und Spielweisen. Man sucht vergeblich nach Gastmusikern, die irgendwelche Trompeten einspielen, irgendwelche Geigenparts übernehmen oder Duette singen. Zum Teil liegt es auch daran, dass Die Ärzte ihr Album selbst produziert haben. So klingt nichts überproduziert, wie noch stellenweise auf "Geräusch", wo dann einige Lieder sogar zu perfekt klangen. Insgesamt wirkt das Album dadurch unkonventioneller und wieder näher an den Fans.
Trotz der Herkunft als Punkband, hat man den Spagat zwischen total alternativ sein und Mainstream sehr gut geschafft. Allein durch die Melodielinien entsteht ein sehr poppiges Gefühl.

Auch die typische Schlagermusikerverarsche muss natürlich kommen. "Lasse redn" klingt nicht nach Die Ärzte, sondern eher nach einer sehr harten Mickie-Krause-Nummer. Wenn man auf den Text hört, kommt aber die Ironie raus ("Lass die Leute reden und lächle einfach mild. Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der Bild"). Gekonnt wird auf spießige Nachbarn angespielt, die sich über andere hinter ihrem Rücken den Mund zerreißen und Gerüchte in die Welt setzen.
Man muss dieses Album einfach Stück für Stück auseinander nehmen. "Die ewige Maitresse" klingt mal einfach nur nach richtigem Die Ärzte-Klassiker. Kann sich noch wer an "Alleine in der Nacht" erinnern? Vom Text her ist das zwar unterschiedlich, aber die Musik und die Liedaufmache ist sehr ähnlich.
Über "Junge", der ersten Singleauskopplung hat man sich hier ja schon zur Genüge geäußert.

Langsam fällt beim durchhören jedoch auf, dass hier wirklich was fehlt. Die Texte kommen einem viel ernster vor. Nicht mehr so herrlich witzig und unbeschwert. Es taucht zwar weiterhin genügend Ironie auf und auch Anspielungen, dennoch wirkt alles etwas ernster, es geht öfters um die Liebe als zuvor und die Texte üben auch öfters Sozialkritik als vorher aus. Diese Richtung ist zwar zu begrüßen, dennoch fehlen so zwei bis drei richtige Totlach-Texte auf dem Album und Zombies gibt es bisher leider auch keine.

Mit einem Tango, nicht ganz klassisch, aber Tango-ähnlich kann man auch noch aufwarten. "Nur ein Kuss" hat diese Straightness eines fast klassischen Tangos. Ob man dazu aber tanzen kann, muss mir jemand sagen, der schonmal einen Tanzkurs gemacht hat.
Warum können Liebesgeständnisse nicht so perfekt, wie im Film sein. Diese Frage stelle ich mir immer wieder und Bela hat sie mal in Worte verpackt. Klasse Lied, auch wieder sehr poppig und mit einem Gitarrensolo, welches sich ordentlich sehen lassen kann. Dem Bild im Booklet nach zu Urteilen, hat Bela hier sogar selbst Hand angelegt.
Und wer jetzt glaubt, es gibt nur poppige Lieder oder Liebeslieder auf dem Album, der irrt. "Heulerei" hat bestimmt 360 Beats pro Minute (okay, ich hab nicht gezählt), laut ist es alle Mal und es geht darum, wie sehr die Partnerin in einer Beziehung heulen würde, wenn man sie verlässt. Einfach, direkt auf den Punkt gebracht.
"Licht am Ende des Sarges" klingt herrlich unbeschwert und auch der Text ist extrem sinnlos. Leider fügt sich das Lied nicht in das Gesamtbild des Albums ein, so leider auch "Niedliches Liebeslied", welches durch Vocal-Effekte irgendetwas kopfschmerzerregendes hat, vielleicht auch durch das "Shalala und shalalu". Trotz der Hommage an John Lennon, gehört gerade "Niedliches Liebeslied" nicht zu meinen Favoriten. Egal, zwei Lieder darf man in den Sand setzen. Diese werden ja nicht automatisch schlecht, sie können nur das hohe Niveau des restlichen Albums nicht mittragen.
Die Ärzte als Funkband wären wohl genauso gut, wie Die Ärzte als Punkband. Dies können sie eindrucksvoll in "Deine Freundin" beweisen. Bei dem Lied hat man sich offensichtlich an der derzeit größten Funk-Crossover-Band Red Hot Chili Peppers orientiert.
"Allein" klingt dann wieder, wie das typische Farin Urlaub-Lied. Hätte auch auf "Am Ende der Sonne" sein können. Mit einem sehr ernsten Text, von einer harten Kindheit zum harten Hardliner ("Weil es nicht so leicht ist, nur der zu sein, der du als Kind schon werden solltest. Denn was du erreicht hast, ist, so zu sein, wie du als Kind nie werden wolltest.").
Aus dem Leben eines Raubkopierers kommt "Tu das nicht". Natürlich kommen diese in den Hochsicherheitstrakt. Sagen uns ja Die Ärzte. Die müssen es wissen. Mit "Tu das nicht" hat man wieder mal den außerordentlichen Humor bewiesen. Wer Ironie nicht versteht, sollte einen großen Bogen um dieses Lied machen.

Ha, da war es also doch. Das erste richtig witzige Lied, natürlich nur für die, die es verstehen. Aber witzig geht es auch weiter.

"Living Hell" ist so ein Lied, welches doch sehr unbeschwert, teils auch witzig ist. Allein Textzeilen, wie "Das Leben ist zum Lachen da, drum nehm ich Psychopharmaka" in einem Lied, welches doch mal bemängelt, wie schwierig die Welt als Popstar ist (aus diversen Interviews weiß man, dass Die Ärzte das Leben als Popstar wesentlich leichter finden, als ein anderes) sind so treffend, dass sie für eine gesamte High Society sprechen könnten und auf die Pizzabäcker angewendet eher alles ins Lächerliche ziehen.
Viel zu schnell kommt leider der Abschied. "Vorbei ist vorbei" ist ein treffender Titel um einen solchen vorzunehmen. Dies ist jedoch nicht der Abschied von den Fans, sondern vielleicht ein Ausblick darauf, dass der Altersdurchschnitt der Band weit über 40 liegt ("Du hast nur dies eine Leben. Wenns vorbei ist, ists vorbei..."). Man weiß es nicht genau. Fakt ist, dass das reguläre Album mit diesem Lied sein Ende findet.

Anbei zum Album wird noch eine Bonus-EP geliefert. Der passende Belag zur Pizza: Eine Tomatenscheibe. Über diese EP werde ich jedoch kein Wort verlieren. Hier soll der Leser selbst rein hören und die EP für sich entdecken. Dies sollte er übrigens auch mit dem Album machen.

Als Fazit bleibt nur noch zu schreiben: Die Ärzte sind wieder da. Mehr denn je. Weg waren sie nicht wirklich. "Jazz ist anders" unterstützt dies. Die Band hat sich in den letzten Jahren weiter entwickelt - dies scheint selbst nach 20 Jahren netto und 25 Jahren brutto noch möglich zu sein. Vielleicht haben sie auch einen guten Schritt dahin getan, dieses Mal alles selbst zu produzieren. So konnte man jetzt seine Ideen so verwirklichen, wie man es selbst für richtig gehalten hat.
Große Einflüsse ergeben sich gerade auf "Jazz ist anders" auch durch die Soloprojekte von Farin und Bela. Aber auch neue Töne auf dem Album sind zu erkennen. So klingt gerade "Jazz ist anders" so modern, wie kein anderes Die Ärzte-Album zuvor. Gerade musikalische Einflüsse aus dem Bereich Indie Rock/Pop, lassen das aktuelle Album von Die Ärzte so interessant werden, wie es ein reines Punk-Album nicht geworden wäre.
Die Ärzte sind keine klassische Punk-Band mehr. Es handelt sich hierbei mittlerweile um eine sehr solide deutsche Rockmusikinstitution.
Aber das Album hat auch Schattenseiten. Sehr störend an dem Album sind die Texte. Es gibt kein wirkliches Nonsense-Lied, wie von Die Ärzte eigentlich gewohnt. Auch wenn die neue Richtung, die hier eingeschlagen wird, begrüßenswert ist, fehlt ein wirklicher Kracher, irgendein Blödellied, wie die beiden Zombies vom Album Geräusch.
Auf alle Fälle haben Die Ärzte, dieses Mal in der Rolle von Pizzabäckern, eine Pizzaschachtel abgeliefert, die nach Verzehr des Inhalts nicht im Müll verschwindet.

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Datum: 03.11.2007

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