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Rock im Revier 2015

Ein Rockfestival ohne Festivalstimmung

Gelsenkirchen (m2w)    Vergangenes Wochenende hat die Premiere von Rock im Revier in der Veltins Arena Gelsenkirchen stattgefunden. Nun ist es so weit. Das Ruhrgebiet hat sein eigenes Festival mit Headlinern in der Größenordnung Rock am Ring. Doch ist auch nicht alles so toll, wie es klingt. Die Erstauflage von Rock im Revier hatte neben einem tollen Line-Up diverse Startprobleme.

Muse konnten durch eine grandiose Show überzeugen. Foto: rock-im-revier.de - Wizard Promotions/DEAG

Das Festival "Rock im Revier" (ehemals Grüne Hölle Rock) findet zum ersten Mal in der Veltins Arena auf Schalke
Impressionen zum Festival
Homepage von Rock im Revier
statt. ein erster Wehmutstropfen wenn man bedenkt, dass der Ring als ursprünglicher Ort des Geschehens auserkoren war, dieser jedoch kurzfristig nicht benutzt werden konnte. Erst wenige Monate vor dem Festival wird den Menschen bekannt gegeben, das der Schauplatz gewechselt wurde. Eine Herausforderung für die Organisatoren wie man sich vorstellen kann. Doch tatsächlich haben sie es in kurzer Zeit geschafft für die Besucher Campingplätze bereit zu stellen, Ess- und Merchandise-Buden aufzubauen und das Festival überhaupt stattfinden zu lassen. Auf drei Stages, deren Namen Big, Bang und Boom Stage sind, haben Fans die Möglichkeit, den Urknall dieses Festivals mitzuerleben und sich ein erstes Bild von diesem zu machen.

Wir wollen uns natürlich ein Bild von dem Festival machen. Obwohl die Laufwege real wohl eher kürzer sind als am Ring, ist das Gelände rund um die Veltins Arena eher unübersichtlich. Die Big Stage liegt natürlich im Stadion, für die einzige permanente Open Air-Bühne, die Boom Stage wurde ein Parkplatz zum Konzertgelände umfunktioniert. Vom Stadion aus muss man einmal komplett um das Gelände der Bühne rumgehen, um zum Eingang dieser zu gelangen. Die Bang Stage liegt in der Emscher Lippe Halle noch weiter weg. Die Wege ziehen sich, auch weil im Vergleich zu anderen Festivals weniger Menschen unterwegs sind.

Uns führt der Weg zuerst zur Bang Stage. Dort spielen die Gallows (Fotos). Für die englische Hardcore-Punk-Band sind nur wenige Besucher gekommen. Dies nutzt Sänger Wade MacNeil aber direkt aus, um den ersten Song des Sets direkt zwischen den Fans der Band zu singen.

Within Temptation (Fotos) ist die erste Band, die wir an diesem Wochenende im Stadion sehen. Das Dach ist zu, obwohl es Freitag trocken ist und eine Genehmigung besteht dieses zu öffnen. So hat die Veltins Arena dann doch den Charme einer großen Turnhalle. Schlimmer wiegt, dass das Stadion noch leer ist. Die Oberränge sind gesperrt. Der erste Wellenbrecher ist gut gefüllt, hauptsächlich mit Metallica Fans, die jetzt schon auf ihre Band warten. Dahinter wird es aber leerer und auch auf den Unterrängen ist bislang nur wenig los. Das, obwohl Within Tempation mit einer schönen Feuershow auffahren.

Noch "trauriger" sieht das Bild auf der Open-Air-Bühne aus. Für Meshuggah (Fotos) und Dir En Grey (Fotos) sind nur so viele Besucher erschienen, dass es knapp reicht die ersten paar Reihen vor der Bühne zu füllen. Die meisten Besucher befinden sich nun schon im Stadion, in welchem zu Metallica der Innenraum und der Unterrang dann auch fast komplett gefüllt ist. Jedoch spielten gerade Dir En Grey eine gute Show und sorgten so für ordentlich Stimmung bei den verbliebenen Gästen der Visual-Kei-Band. Gerne hätte man mehr von den Japanern um den Sänger Kyo gesehen.

Metallica sind als alte Festivalhasen wohl der passende Act um ein neues Festival als Headliner zu eröffnen. Die Band, die nun seit mehr als 30 Jahren im Musikgeschäft groß ist, spielt in Gelsenkirchen souverän und professionell ihre Show ab. Diesmal konzentrieren sie sich auf die älteren Metallica Hits ("The Unforgiven II" sogar das erste Mal live seit 1997). Diese Songs ziehen bei den Fans natürlich am besten und das weiß die Band auch. Dazu noch ihre wohl zwei bekanntesten Hits "Nothing Else Matters" und "Enter Sandman" gespielt, gepaart mit einer spektakulären Laser Show und wohl jeder der rund 35.000 Zuschauer singt begeistert über 2 Stunden mit. Fans, die das Glück haben mit Metallica live auf der Bühne zu rocken und die gesamte Veltins Arena feiern die Band um Frontmann James Hetfield und es scheint als ob sämtliche Festivalbesucher nur für Metallica da sind.


Mit Orchid (Fotos) startet das Programm für uns am nächsten Tag im Stadion. Heute legen wir einen Stadiontag ein, so spielen hier am Samstag die wohl interessantesten Bands des Festivals.

Triggerfinger (Fotos) sind eine belgische Rockband und scheinen älter auszusehen als sie eigentlich sind. Der Sänger Ruben Block ist grade mal 44 Jahre alt, geht mit seinen grauen Haaren aber locker als Ü50 durch. Jedoch täuscht die Optik der Band denn mit ihrem Hardrock-Sound können sie durchaus begeistern und zwar nicht nur Altrocker, sondern auch Jungrocker.

Bonaparte (Fotos), die mit ihren zwei Tänzerinnen für eine optisch gute, aber auch völlig durchgeknallte Show sorgten, ließen die Menge mit ihren Songs tanzen.

The Hives (Fotos), welche Samstag auf der Big Stage zu sehen sind, zeigen sich fannah. Sänger Pelle Almqvist scheut keinen Kontakt und steigt auch gerne mal über den Wellenbrecher zu den Zuschauern rüber, sehr zum Leidwesen der Security. Die Band sorgt nicht nur durch ihren eingängigen Alternative Rock, sondern auch durch die Ansagen ihres Sängers für einen großen Spaß beim Publikum. The Hives sind definitiv eines der Highlights des Festivals und gehören zu Recht auf die Big Stage.

Nach The Hives sind Incubus dran. Nach der Show der Jungs aus Schweden, hat es die amerikanische Band anfangs etwas schwer, die gute Stimmung der Halle einzufangen, was jedoch von Song zu Song immer besser gelingt. Spätestens bei ihrem Welthit "Drive" haben sie die Zuschauer auf ihrer Seite.
Während Incubus noch spielt wird das Dach des Stadions bei blauem Himmel geöffnet und zum ersten Mal kommt ein Hauch von Festivalstimmung auf.

Samstagsheadliner Muse sind unser Highlight des Festivals. Nicht nur mit ihren Hits wie "Supermassive Black Hole" oder "Starlight" liefern sie in Gelsenkirchen eine Show der Superlative. Die Band um den Leadsänger Matthew Bellamy braucht kaum Worte um mit den Zuschauern zu reden. Sie lassen ihre Musik und ihre Texte für sich sprechen. Eine großartige Videoshow auf den Leinwänden unterstützt die durch den Soundteppich der Muse-Songs entstehende Atmosphäre. Muse haben einen eigenen Sound, den man kaum mit anderen Bands vergleichen kann. Einflüsse auf die Musik, die hauptsächlich von Perfektionist Matthew Bellamy geschrieben wird, stammen nur von anderen Perfektionisten, wie Queen (Muse sind quasi die modernen Queen) oder Michael Jackson ("Panic Station). Ihre ernsten Texte scheinen gradewegs aus den Seelen ihrer Fans zu kommen und ihre Show setzt ein Statement gegen die Dinge auf dieser Welt, die augenscheinlich falsch laufen aus der Sicht einer dystopischen Zukunft.
Auch sieht man, dass Muse trotz der ernsten Themen die sie besingen, Spaß an ihrer Arbeit als Musiker haben. Bellamy versucht sich sogar in Deutsch bei den Fans zu bedanken, was ihm auf eine sehr charmante Weise nicht gut gelingt. Aber das macht nichts. Es zählt der Gedanke und ihn auf der Bühne spielen und abrocken zu sehen, ist Dank genug. Den Fans gefällt es und sie kommen in den Genuß einiger neuer Songs wie "Dead Inside", "Psycho" (mit welchem sie das Konzert eröffnet haben) und "Mercy" von dem Album "Drones", welches am 8. Juni veröffentlich wird. Nach 90 Minuten ist das Konzert vorbei, jedoch wirkt die Musik und der Flair von Muse noch lange nach. Hut ab vor dieser Performance.

Der nächste Tag beginnt zwar mit warmem Wetter. Dieses schlägt jedoch schnell in Regen um. Das Dach des Stadions ist zu, dafür verspätet sich alles. Heute Abend sind Kiss Headliner und bringen quasi nochmal ihre eigene Bühne mit. Dadurch verzögert sich ziemlich viel im Ablauf des Festivals. The Dead Daisies (Fotos) gehen mit ca. 15 Minuten Verspätung auf die Bühne und haben dann Probleme das Publikum für sich zu gewinnen. Nicht etwa, weil sie schlechte Stimmung machen, sondern weil bislang wenig Publikum da ist und durch einen Bühnenvorbau von Kiss (die Vorbereitung für ihre ausfahrbaren Bühnenarme) der Blick der ersten Reihe auf die Band sehr eingeschränkt ist.

Wir sind davon nicht so ganz angetan und wechseln im Laufe des Tages auf die Bang Stage. Auch wenn es hier die Bands noch schwerer haben Publikum zu ziehen, ist hier die Festivalstimmung am größten. Die Besucher hier sind nicht wegen der großen Headliner da. Hier sind Musikkenner unterwegs. Am Sonntag hat die Bang Stage aber auch mit das stärkste Line-Up im Alternative-Rock-Bereich. Geheimtipp La Dispute (Fotos) machen mit ihrem Postcore super Stimmung.

Wir wechseln aber trotzdem nochmal in strömendem Regen auf die Boom Stage zu The Darkness (Fotos). Die britischen Glam-Rocker hatten vor mehr als einem Jahrzehnt mit "I Believe In A Thing Called Love" ihren größten und einzigen Hit gehabt, touren aber immer noch und haben noch viel mehr zu bieten. Schlecht ist ihre Musik nicht. Ihr Stand ist aber wohl schwierig. Das junge Publikum kennt sie nicht mehr und die Alt-Rocker versammeln sich jetzt schon für Judas Priest und Kiss in der großen Arena. Zudem regnet es noch und so ist gerade mal die erste Reihe direkt vor der Bühne für The Darkness gefüllt.

Etwas leichter haben es Ignite (Fotos). Zwar sind hier nicht mehr Leute vor der Bühne. In der kleinen Emscher-Lippe-Halle ist das Publikum gemessen an der Fläche auch größer und so sieht es gleich voller aus, als auf der Open-Air-Bühne. Hier tanzen die Securities im Graben sogar etwas mit. Kritische Situationen gibt es bei so wenig Publikum nicht. Auch die Produktionscrew mischt sich zwischen das Publikum. Es ist eine Quasi-Eins-zu-Eins-Betreuung und so entsteht auf der Bühne, auf der man es am wenigsten erwartet am Ende doch noch etwas, was man Festivalstimmung nennen kann. Zum Schluss covern Ignite noch "Sunday Bloody Sunday" von U2 in einer tollen Hardcore-Variante, die sie den in Syrien leidenden Menschen widmen.

Zuträglich für die Festivalstimmung ist hier sicherlich auch die Ska-Punk-Band Mad Caddies (Fotos). Sie kommen auf die Bühne und witzeln, dass sie keine Mikrofone benötigen würden, reißen dann aber dennoch eine grandiose Show runter, die wenn ich recht überlege von den ca. 6 Shows, die ich bisher von der Band gesehen habe mit die beste war. Zu einigen Songs wünscht man sich, dass Sand aufgeschüttet wird und eine Cocktailbar in die Halle gestellt wird. Hier klingt der Ska dann wie Reggae. "Contraband" ist dann das typische Punklied und "Drinking for Eleven" macht den obligatorischen Abschluss.

Und den Weg frei für unser Lieblings-Politpunker Anti Flag (Fotos), die ebenfalls alles geben. Neben schon bekannten Songs, wie "Broken Bones" gab es auch reichlich neues auf die Ohren. "Brandenburg Gate" ist ein Lied, welches erst kürzlich erschien und der Song macht Spaß, sehr viel Spaß. Anti Flag wissen, wie man Punk, Hymnen und politische Aussagen so zusammen bringt, dass alles gut und nichts davon peinlich wirkt.

Nach Anti Flag verschwinden viele dann doch zu Kiss. Zu Sick Of It All (Fotos) sind dann nur noch rund 80 Personen in der Halle. Schade für die anderen, denn vor so wenig Personen wird man Sick Of It All wohl länger Zeit nicht mehr sehen. Füllt diese Band doch eigentlich Hallen im niedrigen vierstelligen Bereich. Fast hätte dann auch noch die Band gesorgt, dass sie nur noch ein Privatkonzert geben, denn 10 Minuten nach offiziellem Start gehen sie erst auf die Bühne. Was auch immer hinter der Bühne vorgefallen ist, vielleicht wollten die Jungs nicht vor so wenig Fans spielen. Dennoch muss man sagen: Die Leute die dort vor der Bühne stehen sind wirklich nur noch Fans der Band. Und so gehen Sick Of It All dann doch auf die Bühne für diesen sehr intimen Gig, der mit Sicherheit allen anwesenden Konzertbesuchern noch lange im Gedächtnis bleiben wird.


Fazit

Was macht ein Festival eigentlich aus? Ein besonders großer Punkt ist die Stimmung: Leider kam diese jedoch nicht so richtig auf. Die Campingplätze waren mehrere Minuten Autofahrt von dem eigentlichen Festivalgelände entfernt, die Besucher wurden da allerdings nicht im Stich gelassen, sondern bekamen kostenlose Shuttle Busse zur Verfügung gestellt, die sie in regelmäßigen Abständen zum Ort des Geschehens brachten. Aber macht der Gang vom Campingplatz zum Festival Gelände nicht gerade einen großen Teil der Stimmung des Festivals aus? Andere Leute kennenzulernen die das gleiche Ziel haben, Bands zu sehen und eine gute Zeit zu erleben. Auch sind die Ess- und Merchandise-Buden weit voneinander entfernt, sodass man nicht gemütlich um die Buden ziehen kann wenn man mal keine Lust auf die Musik der Bands hat. Es fehlt eine Fast-Food-Meile. Das sind jedoch Dinge, die man sicherlich im nächsten Jahr verbessern kann, denn ein Park mit vereinzelten Ständen machen kein Festival aus. Während den Konzerten merkt man doch das nur 40.000 Tickets verkauft wurden - die Boom und Bang Stage sind oftmals ziemlich leer. Sehr schade um die wirklich guten Bands die im Line-Up vertreten sind. Es wirkte alles ziemlich zusammengewürfelt was sich letztendlich auf die gesamte Stimmung gedrückt hat. Die Konzerte der Arena wirkten nicht wie ein Festival, sondern drei Einzelkonzerte der Bands Metallica, Muse und Kiss mit zusätzlichem musikalischen Rahmenprogramm. So entsteht dann keine Festivalstimmung. Es fehlte am Gesamtpaket, an zugkräftigen Musikern auf den zwei kleinen Bühnen. Sehr schade, denn die Organisation des Festivals lief sehr professionell ab. Die Security war freundlich und kompetent. Man wird hier nicht böse angesprochen. Das Personal ist hilfsbereit. Es gibt klare Regeln die auch eingehalten wurden, ein definitiver Pluspunkt für Rock im Revier.

von Jacqueline Vogel und Marcel Linke

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